KRANKHEITSBILD
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Die Frontotemporale Demenz (FTD)
Die frontotemporale Demenz (FTD) ist – ebenso wie die Alzheimer-Demenz – eine fortschreitende Hirnerkrankung, die zu einem zunehmenden Verlust kognitiver, emotionaler und sozialer Fähigkeiten führt. Besonders herausfordernd ist hierbei, dass die Patient:innen in der Regel bereits vor dem 65. Lebensjahr erkranken und weniger an Gedächtnisstörungen, als vielmehr an fortschreitenden Persönlichkeitsveränderungen, Verhaltensauffälligkeiten und/oder Sprachstörungen leiden. Die Häufigkeit der frontotemporalen Demenz in Deutschland beträgt ca. 5 Patienten pro 100.000 Einwohner. Zu den „klassischen“ frontotemporalen Demenzen gehören:
- Die Verhaltensvariante der frontotemporalen Demenz (bvFTD)
- Die primär progrediente Aphasie (PPA) mit ihren Unterformen
a. Nicht-flüssige Variante der PPA (nfvPPA)
b. Semantische Variante der PPA (svPPA)
c. Logopenische Variante der PPA (lvPPA)
Mindestens 20% der Fälle sind genetisch bedingt, wobei ursächliche Veränderungen in mehr als 20 verschiedenen Genen beschrieben wurden. Die in Patient:innen mit europäischer Herkunft am häufigsten veränderten Gene sind C9orf72, GRN (Progranulin), MAPT (tau) und TBK1. Bei der Mehrheit der Fälle bleibt die Ursache jedoch genetisch unklar. Neuropathologisch zeigen Nervenzellen von Erkrankten Einschlüsse bestimmter Proteine (TDP-43, FUS, tau, Beta-Amyloid). Man geht davon aus, dass diese Protein-Pathologien die normale Funktion der Nervenzellen beeinträchtigen und zu deren Absterben führen. Die Ursache der Protein-Pathologie ist, abgesehen von den genetischen Fällen, bislang weitgehend ungeklärt. Die frontotemporalen Demenzen bilden mit weiteren neurodegenerativen Erkrankungen das Erkrankungsspektrum der frontotemporalen Lobärdegeneration (FTLD). Dieses umfasst auch atypische Parkinsonerkrankungen und Motoneuronerkrankungen, weswegen Patient:innen mit FTD abseits der kognitiven Symptome auch Bewegungsstörungen entwickeln können.
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Die Unterformen der FTD
Die Verhaltensvariante der FTD (bvFTD)
Charakteristisch für die bvFTD sind zunehmende Wesens- und Verhaltensänderungen, die sich im Sinne einer Enthemmung, aber auch in Form einer zunehmenden Antriebsarmut bis hin zur Einstellung jeglicher Aktivitäten einschließlich des Sprechens darstellen können. Im sozialen Kontakt zeigt sich meist schon früh ein Verlust von Umgangsformen mit Distanzlosigkeit, gesteigerter Impulsivität und Reizbarkeit bis hin zu offener Aggressivität, es kann aber auch zu sozialem Rückzug, einem Verlust von Mitgefühl und Einfühlungsvermögen sowie affektiver Verflachung kommen. Typisch ist auch die Entwicklung von repetitiven, formstarr und zwanghaft anmutenden Bewegungsmustern und Aktivitäten, die sich auch sprachlich in Form von Stereotypien und Manierismen niederschlagen können. Häufig zu beobachten sind Änderungen der Essgewohnheiten mit übermäßiger Nahrungsaufnahme und der Entwicklung einer Vorliebe für Süßigkeiten und Kohlenhydrate, aber auch Verzehr von (ungenießbaren) Gegenständen. Viele Betroffene haben kein oder nur ein gering ausgeprägtes Störungsbewusstsein und empfinden sich selbst als gesund. Diese Veränderungen treffen die Familien oft in einer Lebensphase, in der berufliche Verantwortung, Familienplanung oder finanzielle Sicherung im Vordergrund stehen, was die Belastung zusätzlich erhöht. Hinzu kommt, dass viele Patient:innen anfangs eine Fehldiagnose erhalten, häufig aus dem psychiatrischen Bereich, wie beispielsweise Depression, Schizophrenie oder Suchterkrankungen. Menschen mit bvFTD fallen häufig durch das medizinische, pflegerische und psychosoziale Versorgungssystem, da es nur unzureichend entwickelte, spezialisierte Strukturen für jüngere Demenzpatient:innen mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten gibt. Anstatt auf ihre individuellen Bedürfnisse und situativen Herausforderungen einzugehen, orientieren sich viele bestehende Angebote vornehmlich an älteren, weniger mobilen Patientengruppen. Dies führt zu Versorgungslücken, unzureichender Begleitung im Alltag und einer erheblichen Belastung für Angehörige, die oft ohne angemessene Unterstützung die herausfordernde Betreuung übernehmen müssen.
Die nicht-flüssige Variante der PPA (nfvPPA)
Im Vordergrund der nicht-flüssigen Variante der PPA stehen zu Beginn grammatikalische Fehler in Wort und Schrift, angestrengt stockendes, wenig moduliertes Sprechen mit inkonsistenten Lautfehlern (Sprechapraxie) sowie ein beeinträchtigtes Verständnis syntaktisch komplexer Sätze. Das Einzelwortverständnis ist dagegen wie auch das Objekt- bzw. Bedeutungswissen zunächst erhalten. Viele Betroffene verfügen über ein gut erhaltenes Störungsbewusstsein und leiden daher stark unter der zunehmenden Einschränkung ihrer Kommunikationsfähigkeit. Auffällig ist zudem, dass abseits der sprachlichen Defizite andere kognitive Fähigkeiten oft über einen langen Zeitraum weitgehend erhalten bleiben. So bewältigen die Betroffenen ihren Alltag häufig noch eine ganze Weile selbstständig, werden jedoch aufgrund ihrer Sprachstörung oft unterschätzt.
Die semantische Variante der PPA (svPPA)
Die semantische Variante der PPA ist gekennzeichnet durch Benennstörungen und ein gestörtes Einzelwortverständnis, beim Schreiben und Lesen kommt es oft zu lautsprachlichen Fehlern (z. B. Tahl statt Tal). Die Betroffenen sprechen mit unauffälliger Sprechmelodie flüssig und grammatikalisch korrekt, die Äußerungen sind aber zunehmend inhaltsarm und durchsetzt von Floskeln, das Objektwissen ist meist schon früh beeinträchtigt. Diese Unterform der frontotemporalen Demenz ist häufig auch von Verhaltensauffälligkeiten begleitet (Egoismus, fehlende Empathie, Geiz). Die Betroffenen haben lange eine recht gut erhaltene Fassade. Unbeteiligten fällt häufig erst relativ spät auf, dass eine Sprachstörung vorliegt, weil die Betroffenen viele Redefloskeln verwenden, um Defizite zu überspielen.
Die logopenische Variante der PPA (lvPPA)
Bei der logopenischen Variante der PPA zeigen sich vor allem Wortfindungsstörungen, häufige Pausen während der Wortsuche und Schwierigkeiten beim Wiederholen von Sätzen oder Satzteilen. Es treten auch oft Lautersetzungen auf (z. B. „Taum“ statt „Baum“). Grammatikalische Fehler sind, wenn überhaupt, anfänglich nur sehr mild ausgeprägt. Charakteristische Suchbewegungen bei der Aussprache, wie sie bei der nicht-flüssigen Variante (nfvPPA) beobachtet werden, kommen hier hingegen nicht vor. Betroffene entwickeln häufig bereits früh Gedächtnisstörungen und weisen alzheimertypische Veränderungen im Nervenwasser auf. Aus diesem Grund wird diese Form der PPA in der Regel den Alzheimer-Demenzen zugeordnet.